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China, China - ein Resumée

"Alle sagen China, China.

Der Chinese überholt uns noch!"

Während wir in China waren, summten diese Zeilen von Rainald Grebe ziemlich häufig in unseren Köpfen herum. Der Chinese überholt uns noch...

Aber als aller erstes einmal Grundlegendes: Ich finde, dass wir aus den fünf Tagen, die wir hatten, wirklich das Beste gemacht haben! Wir haben ansatzweise Shanghai kennengelernt, hatten Dank Lea auch mit dem ein oder anderen Chinesen etwas zu tun und haben dank ihr mit Sicherheit viel mehr erlebt als ohne sie! So viel steht fest! Lea ist wirklich ein super Guide und was sie seit Januar alles gelernt hat, sei es an Sprache, an Schrift oder einfach nur an der Art und Weise, wie man sich hier bewegt, ist einfach enorm und wir haben täglich mehrere Situationen erlebt, in denen wir echt super begeistert waren und manchmal auch laut lachten, weil wir gewisse Situationen mit Sicherheit anders gelöst hätten! Lea hat den asiatischen Move, das ist sowas von klar! Respekt!

Was uns angeht, so waren wir hier ganz schön zwiegespalten. Shanghai ist auf der einen Seite sehr beeindruckend. Man kann stundenlang durch die Stadt laufen und findet neben dem Hypermodernen auch noch das Gediegenere und das Ursprünglichere, manchmal auch beides auf einen Blick.

In Hinblick auf Wohnviertel sind das die Viertel, in denen die Häuser nur einen Stock oder zwei Stockwerke haben. Die kennt man bei uns, aber in chinesischen Städten kaum noch, weil alles Alte dem Neuen weicht, daher stehen diese alten Viertel auch in jedem Reiseführer. Das Große und das Schnelle scheint normal zu sein. Teilweise gibt es auf großen Straßen 6 unterschiedliche Niveaus. Man hat die U-Bahn, die normale Straße, auf denen die Autos fahren, dann eine Brücke für die Fußgänger, dadrüber die Autobahn, die S-Bahn und der Hochgeschwindigkeitszug.

Was man wirklich sagen muss: Es funktioniert alles. Ist herrscht eine unglaubliche Bewegung in der Stadt, alles geht geordnet zu.

Was uns als Fußgänger allerdings irritiert hat, ist die ständige Ablenkung! Überall flimmert Werbung, die ganzen westlichen Ketten, die sich hier angesiedelt haben und in riesigen klimatisierten Gebäuden ihre Waren verkaufen, locken die Passanten an. Es ist ein Konsumparadies schlecht hin. Wir waren ja schon von Kalifornien etwas kulturgeschockt, aber Shanghai gibt uns den Rest weil es hier nichts gibt was es nicht gibt. Und dabei ist die Stadt noch regelrecht im Aufbau. Man findet eigentlich keinen Ort, an dem man von Werbung befreit ist. Selbst in der U-Bahn läuft am U-Bahntunnel die Werbung in Hochgeschwindigkeit mit der Bahn mit. Innendrin hängen selbstverständlich zusätzliche Fernseher, die einen mit Werbung zuballern. Was aber das Verrückteste ist, das sind die Leute selbst. Alle haben mindestens ein Handy in der Hand, wenn sie unterwegs sind. Ohne Smartphone kann man hier ja auch nicht mehr überleben, der Chinese ist absolut gezwungen mitzumachen. Aber wenn man im Restaurant sitzt und neben sich an den Nachbartisch guckt oder auch in der U-Bahn jemandem neugierig aufs Handy lugt, um zu sehen was die eigentlich alle die ganze Zeit machen, dann ist man regelrecht verwirrt. Vielleicht haben wir durch riesengroßen Zufall auch immer nur Negativfälle mitbekommen, aber im Grunde genommen, und dafür sprechen auch die Erfahrungen auf der Straße, im Naturpark oder im Nationalmuseum, das wir an unserem letzten Tag noch besucht haben, wird nur geteilt: Es werden Fotos oder Videos gemacht und dann rausgeschickt in die Welt, damit ganz viele andere Menschen sie sehen und wegwischen können um das Neueste Video zu sehen. Und was da geteilt wird ist absurd. Ich habe diese herrliche Szene beobachtet, wie eine Frau in der Bahn Videos von anderen Menschen angeschaut hat, die Bahn fahren. Oder unser Taxifahrer, der uns durch Shanghai kutschierte und auf dem Handy Videos anschaute von Autofahrern. Oder die Rückspiegel, die durch Kameras ersetzt sind, oder der Teil, der in unseren Autos für Straßenkarten vorgesehen ist, der den Verkehrt von Vorne über eine Kamera in den Wagen projiziert, damit der Taxifahrer Handyvideos gucken kann, ohne dabei den Kopf soweit zu heben, dass er übers Lenkrad schaut. Das passiert zum Glück nur im Notfall. Die chinesischen Autofahrer sind nämlich die Schlimmsten der ganzen Welt, die ich bisher kennenlernen durfte. Und ich bin mittlerweile schon in vielen Ländern Taxi gefahren. Also da müssen sie aufgrund ihres Fahrstils schon die meiste Zeit aufmerksam sein. Aber unterm Strich wird sich durch die digitale Welt eine erschreckende Parallelwelt aufgebaut, die absurder nicht sein kann. Und an Informationen kommt da am Ende wenig raus, ehrlich gesagt. Es wird kurz gesehen und weitergewischt. Immer weiter, immer weiter, immer schneller.

"Dann überhol mich doch!" singt Rainald Grebe und was er meint ist klar.

Was hier passiert ist sehr, sehr gespenstisch. Die Menschen tauschen ihre Persönlichkeitsrechte gegen ein Smartphone ein. Gut, es ist natürlich ganz schön leicht, so etwas zu sagen. Denn wer weiß schon, wann er etwas verliert, was er nie hatte. Aber ich möchte einfach mal behaupten, dass es noch nicht immer Smartphones gegeben hat und die Menschen sich auf der Straße auch mal zugelächelt haben.

Wir haben immer gewitzelt, als wir in der Bahn fuhren, dass wir uns jetzt nackt ausziehen und durch die Bahn tanzen könnten, es aber keinen interessieren würde. Oder sterben. Aber es bemerkt keiner.

Grundsätzlich bin ich mir nicht sicher, ob die Chinesen wissen, was hier gerade passiert. Dadurch, dass es komplett an freiem Informationsfluss in diesem Land fehlt, fehlt auch ein Teil des Horizontes, den wir haben und sie niemals kannten. Als wir das Land betraten, hatten auch wir im gleichen Augenblick keinen Bezug mehr zu unserer westlichen Welt. SMS gingen nicht raus, Whatsapp und Nachrichtenseiten waren nicht mehr funktionstüchtig. Wir waren komplett von unseren Informationsdiensten ausgeschlossen. Gelegentlich konnten wir das System mit einem VPN austricksen, aber das hat noch lange nicht immer funktioniert.

Das, was in China funktioniert ist WeChat. C'est ca!

Man muss aber trotz dieses Bildes, das man in der Öffentlichkeit gewinnt, den Chinesen wirklich zugute heißen, dass sie ein sehr, sehr freundliches Völkchen sind. Sobald man in eine Bar kommt, oder auch in diesem Hostel sitzt, in dem Lea gewohnt hat, oder in einen Club geht, lernt man sofort die Leute um sich herum kennen. Alle sind rege gesellig und sehr nett. Lustig ist, dass zum Beispiel Karaoke-Abende eine Art Volksport sind. Also es gibt da durchaus keinen Einheitsbrei oder so etwas. Aber die Sache mit der Digitalisierung ist eben das, was einem ständig über den Weg läuft und das öffentliche Bild und eben auch unseren Eindruck viel nachhaltiger prägen wird. Dabei ist es vor allem die noch viel einfacher gewordene Art der Überwachung, die damit einhergeht.

Natürlich gibt es in China noch weitaus andere Methoden, die dadurch keinesfalls ersetzt werden.

In unserem Hotel, in dem wir die letzte Nacht vor unserem Abflug verbrachten, gab es auf dem Weg vom Aufzug bis zu unserem unserem Zimmer (ca. 15 Meter) nicht weniger als 16 Kameras! Das Staatsziel Chinas ist, 2020 auf zwei Chinesen eine Kamera zu haben. Wir haben das Gefühl, dass wir es hier, und das muss man vorsichtig sagen, nicht nur mit einem totalen Überwachungsstaat zu tun haben, sondern dass sich China mithilfe der Digitalisierung auf den Weg in eine supermoderne Diktatur begibt. Die Vorgaben des Handelns sind ja jetzt schon durch das Smartphone bestimmt.

Wir können nur von Shanghai sprechen! Deswegen möchte ich nochmal betonen wie vorsichtig das ist, was ich hier sage. Aber ich gehe davon aus, dass es in den anderen Superstädten Chinas nicht anders aussieht. Und auch in den normal großen Städten nicht, die ungefähr die Größe einer europäischen Großstadt haben, wie Berlin, London oder Paris. Die Millionenstädte, die in kürzester Zeit aus dem Nichts errichtet werden, haben den Anschein von Modernität, sie sehen aus wie die gelebte Zukunft, aber sind in Wirklichkeit nichts weiter als eine gigantische Hülle, in denen die Menschen nie wieder unbeobachtet sein werden.

Hinzu kommt jetzt noch das Soziale Punktesystem, das gerade eine Testphase durchläuft, die aber ab 2020 konform sein soll. Dabei wird jeder Mensch in jeder Minute seines Lebens überwacht. Sein Handeln wird kategorisiert und eingeordnet, der Mensch danach in seinem Handeln bewertet und in Vertrauenswürdig oder Vertrauensbrecher eingestuft. Das fängt bei normalen Bewegungsprofilen an und eine nicht gekaufte Fahrkarte oder ein Über Rot über die Ampel gehen kann sofortige Konsequenzen mit sich bringen. Somit wird durch die Digitale Welt ein neuer Mensch geformt, bewertet durch das System. In dem Moment, in dem Jemand nicht mehr Vertrauenswürdig erscheint, wird seine persönliche Freiheit eingeschränkt. Die Person darf zunächst das Land nicht mehr verlassen, danach die Provinz nicht mehr, die Stadt, den eigenen Bezirk, die eigene Wohnung. Alles ist immer kontrolliert durch die Kameras. Heute schon haben die Polizisten teilweise digitale Brillen im Einsatz, mit deren Hilfe sie Personen auf der Straße scannen und deren Identität bestimmen können.

Ich muss sagen, dass dieser Kurzbesuch in China uns noch mehr wachgerüttelt hat, als der Kurztrip in Kalifornien. Wir müssen aufmerksam sein und dieser Entwicklung der Digitalisieren und des technischen Wettbewerbs mit unserer Persönlichkeit entgegentreten, damit wir unsere gewonnenen und erstrittenen Rechte nicht wieder verlieren! Das hört sich ein bisschen panisch an, ich weiß. Aber es geht in Wirklichkeit doch viel schneller als man denkt und es ist ja nicht so, als ob der Weg bei uns nicht in die gleiche Richtung geht. Wir können uns von der Teilhabe dieser Entwicklung nicht ausschließen, wir müssen uns dringend an die eigene Nase packen und unser eigenes Verhalten unter die Lupe nehmen.

Wie oft kann man uns orten, während wir Fotos machen, Standpunkte verschicken, Karten öffnen und uns Wege raussuchen und so weiter. Wir machen doch auch Selfies und verschicken sie ortsgebunden (oder versuchen es :D).

Und auch wir sind an allen möglichen Orten dieser Welt online.

Ich will nicht wissen, von wie vielen Menschen Apple schon den Fingerabdruck hat, den wir bereitwillig hergegeben haben. Oder ihn hergeben mussten, weil es gar nicht mehr anders geht. Ich zum Beispiel musste es tun, weil ich sonst kein Homeoffice machen kann, reine Sicherheitsmaßnahme...

Wir dürfen unseren Kompass nicht verlieren! Ich bin im Nachhinein sehr dankbar, dass wir die USA und China noch mitgenommen haben, auf unserer Reise. Auch wenn wir einen absoluten Kulturschock erlitten haben und diese beiden Welten überhaupt nicht zu dem gepasst haben, was wir vorher so erlebt hatten. Aber jetzt sehe ich, wie wichtig es ist, diese Welten zu kennen! Denn die Gegenwart ist damit besser zu verstehen und der Trend, den unsere Welt auch in Europa aufnimmt, weist eine Gefahr auf, der wir uns am besten sofort entgegenstellen müssen.

Unser Onlineverhalten erzählt so viel über uns: Unser Shoppingverhalten, unsere Vorlieben was Musik, Filme, Bücher betrifft, unseren Einrichtungsgeschmack, unser Verhalten in den Sozialen Netzwerken, unsere Freunde, unsere Umgebung, unsere politische Einstellung. Wir dürfen die Kontrolle nicht verlieren und müssen uns immer fragen, ob wir das alles noch im Griff haben und ob wir unser Handeln noch selbst bestimmen. Denn, ganz ehrlich: Wer hat noch nicht in seinem Leben mal die von Google vorgeschlagene Werbung angeklickt und ein von Amazon empfohlenes Buch gekauft? In unserer Generation sicher die Wenigsten.

Und das ist ja auch alles nicht weiter schlimm, wir dürfen nur nicht unserer Welt entgleiten, die wir kennen. Ich habe jetzt zum Beispiel meinen Amazonaccount gelöscht. Das war übrigens auch gar nicht so leicht... Wie gesagt, wir sind alle schon irgendwie im Netz gefangen. Und wir sind noch die Cleveren, zumindest meine ich das. Wir denken ein bisschen weiter und versuchen dabei, das Große und Ganze zu sehen. Aber wie viele Menschen denken, dass sie Nachrichten gelesen haben, nachdem sie ihre Timeline bei Facebook runtergescrollt sind? Und auf der anderen Seite auch: wie viele wirklich richtige und nachhaltige Debatten gibt es eigentlich noch? Es ist ein Geben und Nehmen und wir verlieren uns selbst schon in einer Schnelllebigkeit, die von Likes und Followerzahlen geprägt ist. Sind wir nicht auch schon dabei, durch Twitter & Co unsere Diskussionskultur zu verlieren? Überschriften bedeuten heute so viel mehr als Inhalt. Die Trumps dieser Welt haben es nicht umsonst geschafft, die mächtigsten Länder zu regieren und keinerlei Kritik an ihrem Führungsstil gelten zu lassen. Mit Kontrolle durch Medien wird auch Kontrolle über Moral ausgeübt. Wir müssen aufpassen, dass wir uns von der digitalen Welt nicht führen lassen. Wir müssen aufpassen, selbst den Kompass nicht zu verlieren und in ein tiefes Gefühl von Unsicherheit abzudriften. Und dafür kann jeder Einzelne von uns etwas tun.

Jetzt aber, ihr lieben Leser, ist Schluss damit.

Wir fahren jetzt nach Hause. Unsere Zeit, unsere 7 Monate Freiheit, unsere 7 Monate selbstbestimmtes Reisen und Treibenlassen sind jetzt vorüber. Während ich das hier schreibe habe ich Tränen in den Augen. Ich denke, dass ich noch nie eine besser Entscheidung getroffen habe, als einfach das zu machen, auf was ich Lust hatte und dabei diesen unfassbaren Schatz an meiner Seite zu haben. Es ist das größte Glück, das ich finden konnte, diesem Menschen zu begegnen, der genau die gleichen Vorstellungen hat und einfach mitzieht. Das ist doch von allem Erlebten das wahrste Geschenk. Wie oft haben wir uns morgens angeguckt und laut gelacht.

Dem Winter zu entfliehen und dabei unsere Welt zu erkunden war die beste Idee die wir je hatten.

Danke, Götz, dass wir sie zusammen in die Tat umgesetzt haben.

Und jetzt fliegen wir um die Welt. Wir legen die letzte Etappe zurück.

Wir sehen uns in Europa wieder.


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